Der Leutenbacher Maulbeerhain
Vereinsleben

Auf dem ehemaligen Wasserhochbehälter Stumppen stehen Bäume, die für unsere Region und in dieser Anzahl eine absolute botanische Rarität darstellen. Wer Sie genauer betrachtet, ist meist ratlos, denn es ist schwer zu erkennen, um welche Baumart es sich handelt. Es sind Maulbeerbäume, der Leutenbacher Maulbeerhain besteht aus acht schwarzen (Morus nigra L.) und zwei weißen (Morus alba L.) Maulbeerbäumen


Die Maulbeerbäume sind ein Relikt aus der Zeit des 2. Weltkrieges. Im Frühjahr 1940 wurden sie im Rahmen der “Aktion Maulbeerbäume” von Leutenbacher Volksschülern unter der Aufsicht von ihrem Lehrer Karl Holl hier gepflanzt. Die Blätter sollten als Futter für Seidenraupen dienen, um aus deren Kokons wertvolle Naturseide gewinnen zu können. Diese Naturseide wurde für die Herstellung von Fallschirmen für die Luftwaffe benötigt. Nach Ende des Krieges wurden die Bäume einfach schlicht vergessen, niemand kümmerte sich mehr um sie. Ihr Überleben verdanken sie dem Umstand, dass sie auf Gemeindegrund standen und niemand den Boden für eine andere Nutzung benötigte.
Später engagierte sich unser OGV-Ehrenmitglied, der ehemalige Leutenbacher Bürgermeister, Ernst Schniepp, mit einer Anzahl von freiwilligen Helfern, für deren Erhalt.
2012 wurden wir von Ihm angefragt, ob wir die Patenschaft für den Maulbeerhain über- nehmen könnten. Er und seine freiwillige Helfer, die dies seither getan hätten, seien nun in einem fortgeschrittenen Alter und könnten dies nicht mehr. Wir erklärten uns bereit den Maulbeerhain zu pflegen und dessen Fortbestand zu sichern.
OGV Leutenbach e.V. übernimmt Patenschaft für den Maulbeerhain

Am 8. Mai 2013 fand die feierliche Übergabe der Patenschaftsurkunde für den Maulbeer- hain durch Bürgermeister Jürgen Kiesl an den 1. Vorsitzenden, des OGV Leutenbach e.V. statt.
Der OGV seinerseits brachte zur Über- raschung von Bürgermeister Jürgen Kiesl eine Edelstahltafel mit der botanischen Beschreibung der Maulbeerbäume und der Geschichte des Maulbeerhains mit.
Diese Tafel, wurde von Auszubildenden der Firma H.P. Kaysser im Ramen ihrer Aus- bildung, in der “Lernfabrik”, angefertigt und dem OGV und der Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür

Zeitzeuge und OGV - Mitglied Alfred Hieber , OGV Vorstand Andreas Rommel, Bürgermeister Jürgen Kiesl mit der Infotafel zum Leutenbacher Maulbeerbaumhain und Ernst Schniepp ehemalige Leutenbacher Bürgermeister und OGV - Ehrenmitglied
Bürgermeister i.R. Ernst Schniepp - “Schutzpatron” des Maulbeerhains

Ernst Schniepp und seine ehrenamtlichen Helfer engagierten sich in der Vergangenheit für den Erhalt des Maulbeerhains. Als Naturliebhaber war ihm schon lange bewusst, was für eine Rarität sich in der Nähe seines Wohnhauses befindet. Er schritt auch ein, als ein skrupelloser Zeitgenosse Äste von den Bäumen sägen wollte. Die Blätter der Äste sollten kostenloses Futter für seine Seidenraupenzucht sein.
In seiner kleinen Ansprache über die Geschichte des Leutenbacher Maulbeerhains erwähnte unser Ehrenmitglied Ernst Schniepp auch folgendes. In einem Fachgespräch habe Ihm ein leitender Mitarbeiter des Gartenbau- amtes der Stadt Stuttgart einst folgendes mitgeteilt.
“Die Stadt Stuttgart würde sich glücklich schätzen, wenn sie so ein Juwel, wie den Leutenbacher Maulbeerhain, besitzen würde”.
Alfred Hieber, ein damaliger Schüler erinnert sich
“Im Frühjahr 1940 befassten wir uns im Ramen des Naturkundeunterrichts mit der Seiden- raupenzucht. Zwei Schüler mussten mit einem Handleiterwagen zu Fuß nach Waiblingen (etwa 10 km) gehen und auf der Bildstelle einen Filmprojektor und zwei Filme abholen. Die Filme über Seidenraupenzucht und Maulbeerbäume wurden im Schulunterricht angeschaut, danach musste der Filmprojektor und die Filme wieder mit dem Handleiterwagen nach Waiblingen zurückgebracht werden”. Eine Sache, die damals völlig normal war - heute aber sicherlich unmöglich wäre

“Auch in Leutenbach sollten Maulbeerbäume gepflanzt werden, doch niemand stellte ein Grundstück zur Verfügung”. “Deshalb wurden von uns, unter der Anleitung von unserem Lehrer Karl Holl, die bereitgestellten Maul- beerbaumsetzlinge auf dem Gelände des Wasserhochbehälters Stumppen, das der Gemeinde Leutenbach gehörte, ausge- pflanzt”.
“Täglich mussten wir mit dem Lehrer hier herauf und die Setzlinge gießen, das war uns aber lieber als der Schulunterricht".
"Lehrer Holl schloss den Deckel des Hochbehälters auf, stieg dann auf die Plattform hinab und befüllte die Eimer mit dem Wasser. Er gab sie uns herauf und wir mussten die, etwa kniehohen, Maulbeerbäumchen gießen. Einmal haben wir aus Spaß einen Eimer Wasser über Lehrer Holl ausgeleert, der das aber gar nicht lustig fand - wir wurden von ihm bestraft. Jeder von uns bekam Schläge von ihm".
“Nach dem Krieg hat sich dann keiner mehr um die Maulbeerbäume gekümmert. Keiner konnte mit ihnen etwas anfangen, wenn ich zur Reifezeit der Maulbeeren in der Nähe auf dem Acker zur Arbeit war, bin ich oft hier her und habe von den Maulbeeren gegessen”.
Aufstellen der Infotafel “Maulbeerhain”


Der Infotafelständer, gefertigt aus starkem Stahlrohr, wurde von Dieter Blessing ge- schweißt, dann verzinkt und die beschriftete Edelstahltafel mit Schrauben daran befestigt.
Am 18. Juni 2013 war es dann endlich soweit, bei 32° C hoben OGV-Mitglied und Gemeinderat Claus Lämmle und er mühevoll ein großes Loch am Fuße des Maulbeerhains aus. 150 Liter schnell abbindender Beton und mehrere Armierungseisen halfen die Infotafel fest und sicher im Untergrund zu verankern.
Schon von weitem fällt diese Infotafel auf und mancher Passant, der sonst achtlos vorbei gegangen wäre, nimmt die Information über die Maulbeerbäume und ihre Geschichte nun bewußt wahr.

Pflegearbeiten und Anpflanzung neuer Maulbeerbäume
Nachdem Mitarbeiter des Bauhofs in der vorletzten Woche das Unterholz komplett entfernt hatten, war der OGV Leutenbach im Rahmen seiner Patenschaft für den Leutenbacher Maul- beerbaumhain am Samstag, 1. März 2014, mit einem Arbeitseinsatz dort tätig. Claus Lämmle, Roland Lämmle, Werner Neubauer, Armin Schröder, Andreas Hieber und Dieter Blessing schnitten die Maulbeerbäume und entfernten aus ihnen das Totholz. Um den Bestand langfristig zu sichern, hat der OGV 10 neue (weiße) Maulbeerbäume gespendet. Nachdem man die Standorte festgelegt hatte, wurden die Pflanzlöcher vorbereitet, die Maulbeerbäumchen eingepflanzt, an den Stützstäben angebunden und mit einem Schutz gegen Wildverbiss versehen. Mit Unterstützung durch Werner Fleischmann vom Nabu wurden auch drei Tagesunterstände für Fledermäuse an den Maulbeerbäumen aufgehängt. Der OGV bedankt sich bei allen Beteiligten (Bauamt, Bauhof, den genannten OGV Mitgliedern und Werner Fleischmann vom Nabu) für die gute Zusammenarbeit zum Wohle des Leutenbacher Maulbeerhains.
OGV Leutenbach e.V. erhält Kulturlandschaftspreis 2014
für die Pflege des Leutenbacher Maulbeerhains
Der OGV Leutenbach e.V. ist Hauptpreisträger beim diesjährigen Wettbewerb, um den Kultur- landschaftspreis 2014. Dieser Preis wird vom Schwäbischen Heimatbund in Stuttgart mit Unterstützung der Stiftung Umweltschutz des Sparkassenverbandes Baden-Württemberg an Privatpersonen, Vereine und Institutionen verliehen, die sich herausragend um den Erhalt typischer Kulturlandschaften kümmern und verdient gemacht haben. Die feierliche Verleihung des Kulturlandschaftspreises 2014, fand im Ramen eines Festaktes am 14. Oktober 2014 in der Schlosshalle in Wurmlingen (Landkreis Tuttlingen) statt.

von links nach rechts, Ministerialdirektor Wolfgang Reimer (Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz), Bürgermeister Jürgen Kiesl, Dieter Blessing (OGV Leutenbach), Andreas Rommel (OGV Leutenbach), Peter Schneider (Vorsitzender des Vorstandes der Sparkassenstiftung Umweltschutz) und Fritz-Eberhard Griesinger (Vorsitzender des Schwäbischen Heimatbundes)
Der Vorsitzende der Jury, Dr. Volker Kracht, würdigte die Arbeit des Obst- und Gartenbau- vereins Leutenbach in seiner Laudatio folgendermaßen.
„Das Obstbäume neben ihrer Bedeutung als Biotop-Bestandteil und im Landschaftsbild noch ganz andere Funktionen in und für die Kulturlandschaft übernehmen können, zeigen uns die Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins Leutenbach. Ihre Bewerbung erzählt von einem Projekt, bei dem Obstbäume heute noch Zeugen einer historischen und meist längst vergessenen kulturlandschaftlichen Funktion sind. Was ist gemeint? 1942, während des Zweiten Weltkrieges, gab es im Ramen der Autarkiebestrebungen des Deutschen Reiches, von Rohstoffimporten unabhängig zu werden, eine deutschlandweite Aktion an Schulen, im Naturkundeunterricht Maulbeerbäume, Maulbeerhaine oder Maulbeer-Alleen zu pflanzen. Damit sollte die Futtergrundlage geschaffen werden, für eine Seidenspinner-Zucht im großen Stil. Die Raupen dieses Falters leben von Maulbeerblättern und produzieren die Maulbeerseide – Grundstoff für eine groß angelegte Fallschirmproduktion. Das groß angelegte Projekt war nicht wirklich erfolgreich. Von den zahllosen jungen Maulbeerbäumen, die damals in Deutschland gepflanzt wurden, sind kaum noch welche vorhanden und kaum jemand erinnert sich an ihre Geschichte und die Funktion, die ihnen damals zugedacht war. Darum ist es ein wirklicher Gewinn, dass der Obst- und Gartenbauverein Leutenbach 2012 die Patenschaft und Pflege des vor Ort noch vorhandenen Maulbeerhains übernommen hat. Er besteht aus insgesamt zehn schwarzen und weißen Maulbeerbäumen rund um einen ehemaligen Wasserhochbehälter in der Feldflur und ist wohl das einzige noch verbliebene Beispiel in der Region. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde als Grundstücksbesitzer haben die Vereinsmitglieder die vergreisten Bäume vom Totholz befreit, fachgerecht zurück geschnitten und im vergangenen Jahr auch zehn neue weiße Maulbeerbäume gepflanzt, um die Tradition dieser Besonderheit auch für die Zukunft zu sichern. Mit einer Tafel, auf der sowohl Informationen zu dieser botanischen Besonderheit in unseren Landschaften, als auch zur Entstehungsgeschichte dieses kulturlandschaftlichen Zeugnisses zu lesen sind, ist der Grundstein gelegt, dieses Wissen auch weiterzugeben an die Generationen nach uns. Für dieses besondere Beispiel zur Erhaltung eines kulturlandschaftlichen Elementes erhält der Obst- und Gartenbauverein Leutenbach den diesjährigen Kulturlandschaftspreis“.